Kultur verstehen, Kultur verändern – wie Sie das „softe Zeug“ in Griff bekommen

25.1.2024 von Silke Krischke

Seerosenmodell nach Edgar Schein

Der Kulturbegriff wird häufig leichtfertig und unpräzise genutzt. Er dient als Sammelbegriff dafür, wie das Miteinander und die Zusammenarbeit von Führungskräften und Mitarbeitenden wahrgenommen werden. Die Kultur einer Organisation bezeichnet deren Eigenleben. Es bezeichnet die Werte, Regeln, Normen, Sichtweisen, die alle Menschen in der Organisation verbinden und so gemeinsames organisatorisches Handeln ermöglichen. Edgar Schein[1] hat mit seinem „Seerosen-Modell“ eine eingängige Beschreibung der Organisationskultur mit der Hilfe von drei Ebenen geschaffen. Er unterscheidet

  • Sichtbare Kulturelemente: Ausdrucksformen (Regeln, Verhalten, Umgang) und Artefakte (Gebäude, Raumausstattung, Logo, Kleidung)
  • Teils sichtbare, teils unsichtbare Kulturelemente: Werte, Normen, Sichtweisen, Leitbilder, Tabus, Geschichten, Helden
  • Unsichtbare Kulturelemente: verborgene Grundannahmen, Hypothesen, Überzeugungen

Wie entsteht Kultur?

Kultur lässt sich nicht durch Verordnungen von Vorstand oder Geschäftsführung fordern. Sie entwickelt sich aus dem Geschäftsmodell, aus Organisationsstrukturen und Prozessen, also aus der Art und Weise, wie das Team oder der Bereich von den Mitarbeitenden zum Funktionieren gebracht wird. Gemeinsame, auch unausgesprochene Werte, Normen und Einstellungen prägen Entscheidungen, Handlungen und Verhaltensweisen aller Organisationsmitglieder. Jede Veränderung in Berichtswegen, im Zielsystem, jede Neueinstellung, jede Versetzung, jede Entlassung, jede Prozessoptimierung verändert Kultur.

Wie kann die Kultur in Transformationsprozessen verändert werden?

In Change-Projekten oder bei der Transformation wird überwiegend an Prozessen, Methoden, Rollen und Werkzeugen gearbeitet. Damit werden die wichtigsten Stellhebel für Kulturveränderung bedient. Allerdings setzt eine erfolgreiche Kulturarbeit voraus, dass die kulturellen Effekte der Änderungen von Prozessen, Methoden und Tools bewusst betrachtet und reflektiert werden. Nur auf diese Weise lassen sich die erwünschten Wirkungen erzielen und ungewollte Effekte vermeiden.

Dreieck der Veränderung

Eine wirksame Kulturveränderung braucht das Bewusstsein für die prägenden, offensichtlichen und auch unsichtbaren Kulturelemente. Ein Blick auf das „magische Dreieck“ der Veränderungen macht deutlich, dass ein neues Bewusstsein für die Einflüsse von Veränderungen auf die Kultur einer Organisation(-seinheit) notwendig ist. Das Dreieck beschreibt den Zusammenhang zwischen der Struktur (Aufbau- und Ablauforganisation), der Strategie und der Kultur als sich in Balance befindliches, dynamisches System. Veränderungen an Strukturen oder der Strategie bringen das Dreieck aus dem Gleichgewicht. Es entstehen kulturelle Ausweichbewegungen (nach Stefan Kühl), die auch unerwünschte Handlungen und Verhalten nach sich ziehen können. Gescheiterte Veränderungen und fehlende Wirksamkeit initiierter Verbesserungen sind eine Folge. Peter Drucker bekräftigt diesen Einfluss von Kultur mit seinem Zitat „Culture eats strategy for breakfast“.

Wer also Strategie, Struktur und Prozesse verändern will, muss die Auswirkungen auf die Kultur berücksichtigen. Gleichermaßen müssen neben erwünschten oder angestrebten Kulturveränderungen, die sich aus Kulturentwicklungsprojekten ergeben, Wechselwirkungen im Hinblick auf Struktur und Strategie in Betracht gezogen werden.

Es braucht Werkzeuge, um aktiv auf Kulturveränderungen wirken zu können.

Die Gestaltung von Kultur geht nur über die Entwicklung der sichtbaren, formalen organisationalen Rahmenbedingungen, wie

  • Kommunikationswege: formale Kommunikation, Gremien, Berichtswege
  • Prozesse, Methoden, Werkzeuge, Vorgaben: Vorgaben, Arbeitsweisen, Checklisten, Handbücher, Organigramme, Zielvorgaben, Routinen, Verantwortungen etc.
  • Personal: Einstellungen, Beförderungen, Haltungen, Führungsstile, Kriterien für Einstellungen, Versetzungen, Entlassungen, Personalentwicklung

Insbesondere Führungskräfte prägen durch ihren Vorbildcharakter Kultur durch die Aktionen, die sie täglich vollziehen oder unterlassen (ob bewusst oder unbewusst). Die Mitarbeitenden nehmen dies wahr und bilden daraus ihren Orientierungsrahmen, der als Organisationskultur wahrgenommen wird.

Schaffen Sie daher Räume zur Reflexion und fördern Sie den Austausch über bewusste und unbewusste Verhaltensweisen und deren Wirkung auf die Organisationskultur.


Wie habe ich dieses Wissen in Veränderungsprojekten genutzt – Ein Praxis-Beispiel

Agile Transformation in der Automotive-Entwicklung – Weg vom Silo-Denken, hin zu kollaborativer, bereichsübergreifender Zusammenarbeit in interdisziplinären agilen Teams

Ausgangslage (warum weg von hier):

Die Verkürzung von Produktentwicklungsprozessen und die wachsende Komplexität durch Digitalisierungsinitiativen in der Entwicklung, Technologiewandel, Vernetzung von Software und Hardware etc. lassen sich mit den bestehenden Strukturen und Zusammenarbeitsmodellen nicht mehr effizient und zukunftsorientiert bewältigen. Bestandsprozesse laufen stabil und zuverlässig auch über Bereichsgrenzen hinweg. Für Neuprojekte stoßen diese etablierten Prozesse an Grenzen: Linienorientierung steht in Konflikt zu Projektzielen, Rollen und Prioritäten sind unklar und die Kommunikation erfolgt vielfacht intransparent und reaktiv.

Ziel (wohin):

Durch die Einführung agiler Arbeitsweisen (hier nach SAFe) soll diesen Herausforderungen des Marktes und der internen Situation begegnet werden. Der Projekt-Scope umfasste die Erarbeitung eines Zusammenarbeitsmodells, welches die Bereiche zielgruppengerecht einbindet, so dass zukunftsfähige und zuverlässige Leistungen erbracht werden. Neben der Entwicklung von Prozessen, Methoden und Rollen mussten Rahmenbedingungen für ein „lean-agile Mindset“ geschaffen und verankert werden. Hört sich einfach an – ist es nicht.

Wie sind wir vorgegangen:

1. Schritt: Interviews zur Kulturanalyse – Sicht von innen nach außen

In qualitativen Interviews mit Schlüsselpersonen aus unterschiedlichen Bereichen und Linienfunktionen wurden bestehende und erwünschte Verhaltensweisen deutlich. Die Interviewten äußerten sich offen und konstruktiv mit Ideen zu hemmenden und fördernden Verhaltensweisen, Rahmenbedingungen und Prozessen, die aus deren Perspektive wichtig sind, um eine neue Haltung und damit eine neue, lean-agile Kultur bei den Menschen zu verankern. Sie spiegelten damit eigene Werte, Einstellungen und Sichtweisen wider.

2. Schritt: Reflecting Team – Sicht von außen nach innen

Die Wahrnehmungen der Interviewten „von innen nach außen“ wurden im Projektverlauf um eine „Sicht von außen nach innen“ durch das Beratungs-Team als Reflecting Team ergänzt. Am Modell der „Veränderungsanforderungen“ wurde dem Führungsteam basierend auf dem Lean-Agile Mindset nach SAFe gespiegelt, welche sichtbaren und unsichtbaren Kulturelemente (Verhaltensweisen, Werte, Einstellungen, Grundannahmen) in der Außensicht erkennbar sind.

3. Schritt: Erkenntnisse nutzen

Die Ergebnisse der Kulturanalysen wurden im Führungsteam diskutiert und Maßnahmen zur Umsetzung in der Entwicklung und Umsetzung des neuen Arbeitsmodells erarbeitet. Neben deren Verankerung in Prozessen und Methoden war es von großer Bedeutung, mit den Mitarbeitenden im Rollout die erwünschten Verhaltensweisen und Einstellungen für deren Rolle zu klären, lean-agile Kompetenzen zu vermitteln und die Veränderungen regelmäßig in Retrospektiven zu reflektieren und anzupassen.

Key Take-aways

  • Kultur entsteht durch Interaktionen von Individuen und Gruppen als Reaktion auf die Verhältnisse in der Organisation.
  • Kultur entwickelt sich aus der Art und Weise, wie eine Organisation von den Menschen zum Funktionieren gebracht wird.
  • Wirksame Kulturveränderung erfordert die Entwicklung von Strukturen und Rahmenbedingungen.
  • 💡 Wer Strategie, Struktur und Prozesse verändern will, muss die Auswirkungen auf die Kultur berücksichtigen.
  • 💡 Neben erwünschten oder angestrebten Kulturveränderungen müssen Wechselwirkungen auf Struktur und Strategie berücksichtigt werden.
  • 💡 Veränderungsinitiativen, die an den „harten“ Themen von Strategie und Struktur arbeiten, müssen die Auswirkungen auf die „soften“ Kulturaspekte berücksichtigen und fördern.

[1] Edgar H. Schein (2018): Organizational Culture and Leadership

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Silke Krischke
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